Vitamin E: Knappe Ressource Krankenhauspersonal: Wie kann KI unterstützen?

10. Mai 2021 | Kategorien: Allgemein

Freuen Sie sich auf eine neue Ausgabe unseres Newsletter-Formats “Vitamin E – Experten diskutieren mit ZTG”. Darin lassen wir als ZTG GmbH regelmäßig Expertinnen und Experten zu aktuellen Themen zu Wort kommen. Thema heute: Der Personalnotstand in der Pflege – insbesondere vor dem Hintergrund der COVID-19-Pandemie – im Zusammenspiel mit Künstlicher Intelligenz: Wie passt das zusammen?

Pflegepersonal ist eine knappe Ressource. Schon vor der Corona-Krise war der Fachkräftemangel im Gesundheitswesen die wohl größte Aufgabe des Bundesgesundheitsministeriums (BMG). Im gesamten Pflegebereich fehlen schon heute laut BMG rund 50.000 Pflegekräfte. Bis zum Jahr 2030 könnten es 300.000 sein, so eine Einschätzung des Deutschen Pflegerats. Und die COVID-19-Pandemie hat die Situation in kurzer Zeit weiter verschärft. Umso wichtiger ist es, vorhandene Personalressourcen bestmöglich einsetzen zu können. Das gelingt zum einen durch eine Planung, die möglichst umsichtig, aber trotzdem flexibel genug ist, um auf kurz- und mittelfristige Änderungen eingehen zu können. Zum anderen muss der Vorgang der Planung selbst möglichst zeiteffizient gestaltet sein. Die Personaleinsatzplanung und -steuerung im Gesundheitswesen (kurz: PEPS) erfolgt in spezialisierten Software-Systemen, dort jedoch oft manuell. Das erfordert rare organisatorische, soziale und fachliche Kompetenzen, die andernorts – häufig in medizinischen oder pflegerischen Kernprozessen – dringend gebraucht werden.

Im Förderprojekt KI-PEPS (KI-unterstützte Personaleinsatzplanung und -steuerung im Gesundheitswesen) aus dem Leitmarkt Gesundheit.NRW wird erforscht, wie Einrichtungen und Planer durch den Einsatz von maschinellem Lernen (ML) und künstlicher Intelligenz (KI) in ihren PEPS-Prozessen unterstützt werden können. Wir freuen uns in dieser Ausgabe auf knackige Antworten von Marc Otten, Bereichsleiter Institutsentwicklung beim Bochumer Institut für Technologie (BO-I-T). BO-I-T ist ein außeruniversitäres, anwendungsorientiertes Forschungsinstitut mit Schwerpunkt Data Science, also der Nutzbarmachung von meist großen Datenmengen für Innovationen. Es ist einer der Partner im Projekt KI-PEPS.

ZTG GmbH: Hallo Herr Otten, zu Beginn würde ich mich freuen, wenn Sie uns konkrete Problemfelder skizzieren könnten, die vom Einsatz digitaler bzw. KI-gestützter Anwendungen profitieren könnten. Was können Sie uns da berichten?

Marc Otten: KI-Einsatz ist grundsätzlich in sehr vielen Anwendungsbereichen möglich. Hier lässt sich zunächst zwischen wissensbasierter und datenbasierter KI unterscheiden. Wenn man von wissensbasierter KI spricht, dann meint man meistens Systeme, die Fragestellungen bearbeiten, bei denen es eine Vielzahl an Regelungen zu beachten gibt. Diese können dann durch Algorithmen interpretiert und eingehalten werden. Bei der Dienstplanung ist das beispielsweise das Einhalten gesetzlicher Regelungen. Mit der datenbasierten KI werden meistens Probleme und Anwendungsfelder bearbeitet, zu deren Lösung viel Erfahrung benötigt wird. Diese Erfahrung lässt sich in historische Datensätze überführen. Eine der wohl bekanntesten Anwendungen, die auf dieser Art von KI basiert, ist ein System von Google gewesen. Diesem hat man versucht beizubringen, auf Bildern zu erkennen, ob ein Hund oder eine Katze zu sehen ist. Dazu wurden dem System unzählige Bilder von Hunden und Katzen gezeigt, mit dem Hinweis, dass entweder das eine oder das andere zu sehen ist. So „lernte“ die KI, wie ein Hund oder Katze aussieht und konnte diese Unterscheidung auch bei ihr fremden Bildern irgendwann vornehmen.

ZTG GmbH: Wir würden gerne mehr über das Projekt KI-PEPS erfahren. Wie funktioniert der Einsatz künstlicher Intelligenz für die Personalplanung im Projekt ganz konkret?

Die Personalplanung im Krankenhaus ist eine recht sensible Geschichte. Die Planung erfordert viele Kompetenzen und Erfahrung. So müssen im Dienstplan gesetzliche oder tarifliche Regelungen Beachtung finden. Der Ersteller beziehungsweise die Erstellerin müssen aber auch erfahren darin sein, beurteilen zu können, wann mit welchem Personalbedarf auf den unterschiedlichen Stationen zu rechnen ist. Es ist zudem eine Aufgabe, die Sozialkompetenz erfordert, denn es muss zwischen den Interessen der Mitarbeitenden und den Erfordernissen des Krankenhauses in Hinblick auf die Versorgung vermittelt werden. In Summe handelt es sich also um eine sehr vielschichtige Aufgabe, der wir uns über KI-Technologien zu nähern versuchen.

Eine weitere, ganz wesentliche, nicht technische Herausforderung, die sich hierbei für uns aufgetan hat, ist, überhaupt bewerten zu können, was einen guten Dienstplan auszeichnet. Wir mussten feststellen, dass es in diesem Feld noch wenig Vorarbeiten, Literatur oder Ähnliches gibt. Deswegen ist ein wesentlicher Bestandteil des Projektes, die Entwicklung von möglichst objektiven Gütekriterien, die uns dabei helfen zu beurteilen, ob ein Dienstplan gut ist oder nicht.

ZTG GmbH: Das heißt, die gute Idee ist da, die vorbereitenden Arbeiten sind gemacht und irgendwann kann es in die praktische Umsetzung gehen. Sehen Sie Stolpersteine für die Praxis?

Ja, ich sehe auf jeden Fall Stolpersteine. Es ist eine große Herausforderung. Deswegen bearbeiten wir das Themenfeld auch in einem Forschungsprojekt: Weil wir noch nicht wissen, ob das, was wir uns vorgenommen haben, überhaupt funktioniert. Es gibt es eine ganze Reihe an Problemen, die gelöst werden müssen. Zum Beispiel der Bereich der Datenbeschaffung: Die KI-Systeme müssen mit sensiblen Daten gespeist werden, beispielsweise mit Personaldaten, aber auch vertraglichen Inhalten. Diese müssen natürlich datenschutzkonform, also anonymisiert oder zumindest pseudonymisiert, aus den Systemen der Krankenhäuser extrahiert werden, wofür wir zunächst einen Mechanismus entwickeln mussten.

Ein großer Stolperstein in der Praxis könnte zudem die Akzeptanz eines solchen neuen Systems sein. Inwieweit sind in unserem Fall die Mitarbeiter dazu bereit, ein System zu akzeptieren, bei dem ein Computer darüber entscheidet, wann sie zur Arbeit gehen müssen und wann sie frei haben? Das ist erst einmal eine Herausforderung, kann aber auch eine Chance sein, beispielsweise wenn man sich das Ausfallmanagement im Krankenhaus anschaut: Fällt ein Mitarbeiter aus, muss vom Dienstplanenden Ersatz gefunden werden. Dieser greift dann sehr wahrscheinlich auf einen Mitarbeitenden zurück, der auch schon die vergangenen Male kurzfristig eingesprungen ist.  Wenn aber ein KI-System Vorschläge macht, wer einspringen könnte, und wenn das nach fairen und transparenten Kriterien passiert, kann das wiederum die Akzeptanz für das System unter den Angestellten auch steigern.

ZTG GmbH: Der Fachkräftemangel im Krankenhaus ist durch die Corona-Pandemie nochmal verstärkt worden. Ist der Einsatz von KI jetzt die Lösung für den Personalnotstand in Kliniken?

Nein, durch den KI-Einsatz löst man natürlich nicht das Problem, dass wir zu wenig Personal, eine nicht ausreichende Finanzierung und so schlechte Arbeitsbedingungen in der Pflege haben. Im Idealfall erreichen wir damit einen effizienteren Planungsprozess und können dadurch die Dienstplanenden entlasten, sodass diese ihre hohen und raren Kompetenzen in anderen Bereichen einsetzen können. Aber dadurch wird natürlich keine Pflegekraft mehr zur Verfügung stehen. Das ist eine Problematik, die auf anderer Ebene gelöst werden müsste.

ZTG GmbH: Was wünschen Sie und Ihr Team sich für die Zukunft des Projektes aber auch vielleicht generell im Themengebiet KI?

Für das Projekt wünschen wir uns natürlich, dass wir eine sinnvolle Hilfestellung entwickeln können, mit der wir Prozesse im Krankenhaus effizienter gestalten können. Wir würden uns wünschen, dass wir einen wertvollen Beitrag leisten können, um die Personalsituation und die Versorgungsqualität zu verbessern. Vielleicht bietet die aktuelle Situation um die Pandemie und die höhere Aufmerksamkeit für die Herausforderungen in der Pflege auch die Chance, dass sich die Arbeitsbedingungen im Pflegebereich mittelfristig verbessern. Durch das Projekt arbeiten wir viel mit Pflegepersonal zusammen. Dabei habe ich immer wieder gemerkt, dass in der Pflege durchweg Menschen arbeiten, die ihren Job aus Überzeugung und mit Herzblut machen.  Und es wäre angebracht, wenn ihre Arbeit mehr wertgeschätzt werden würde.

ZTG GmbH: Vielen Dank für das Interview, Herr Otten. Wir wünschen KI-PEPS viel Erfolg weiterhin und hoffen, dass sich das Projekt bald in der Praxis bewähren kann.